Dynamisches Sitzen – was ist das eigentlich?

Grob formuliert fordert der Begriff, die Sitzhaltung auf dem Arbeitsstuhl und ganz allgemein bei der Büroarbeit regelmäßig zu verändern und somit dem monotonen Verharren und Erstarren beim Sitzen konsequent entgegenzuwirken. Denn: Langfristiges statisches Sitzen macht krank.

Vita motu consat (Das Leben besteht in Bewegung)

… das wusste schon Aristoteles. Die kontinuierliche Haltungsänderung beim Dynamischen Sitzen geht in dieser Aussage über die physiologisch notwendige Bewegung hinaus.

So kann man beispielsweise kurz nach vorne geneigt sitzen, anschließend aufrecht, dann wieder zurückgelehnt. Auch die Beine sollten unterschiedlich belastet und zwischenzeitlich ausgestreckt werden.

Die Schultern immer mal wieder kreisen lassen, beide Arme über den Kopf nehmen – all das geht nach einer gewissen Eingewöhnungszeit idealerweise in Fleisch und Blut über.

Sich recken und strecken fällt in diesen Bereich der modernen – und doch neu entdeckten – Sitzdynamik. Galt dies früher als Undiszipliniertheit, so ist die heutige Sichtweise die der natürlichen Selbstregulation.

Nicht zu verwechseln mit einer auffälligen Bewegungsshow, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Auch dieser Aspekt kommt vor, er stellt zum Beispiel selbst tolerante Lehrer in Schulklassen vor einige Probleme.

Dynamik beim Sitzen als Reaktion auf Ermüdungssymptome

Der Ausgangspunkt für den Ansatz des Dynamischen Sitzens liegt in den immer größer werdenden Problemen der sitzenden Arbeit begründet.

Massive Zunahmen von Ermüdungserscheinen, Leistungseinbrüchen, Verspannungen, Rückenbeschwerden und Erkrankungen erforderten ein Umdenken.

Und das ist gar nicht so leicht: Das Stillsitzen wurde seit Generationen in der Schule gelehrt und später im Berufsleben gelebt. Es scheint fest in der gegenwärtigen Kultur verankert zu sein – doch gesund ist es nicht.

Im Jahre 2008 stellte der Bundesverband der Betriebskrankenkassen fest, dass etwa 2/3 der Büroangestellten von diversen Rückenproblemen und -leiden berichteten.

Fakten:

  • Dauersitzen ist durch die andauernde „Haltearbeit“ der Rückenmuskulatur eine Strapaze und eine deutliche Belastung für den Rücken.
  • Je monotoner die Haltung, desto belastender wirkt der daraus resultierende Rundrücken für den Körper.
  • Bewegungsarmut lässt die Muskulatur erschlaffen, die Folge ist eine schlechte Durchblutung und Sauerstoffunterversorgung des Organismus.
  • Die Bandscheiben der Wirbelsäule werden beim sitzenden Arbeiten einseitig und hoch belastet.
  • Sitzen ist nicht die natürliche Haltung des Menschen und steht seinem Bewegungsdrang entgegen.
  • Bei Nichtbeschäftigung schaltet der Organismus auf Sparflamme, Unwohlsein, Reizbarkeit, Lern- und Konzentrationsprobleme können auftreten.
  • Die Muskulatur fordert ein, bewegt zu werden, bei langen Sitzphasen entfällt dies, die Bauchmuskulatur erschlafft, die Verdauungsorgane können eingeengt werden.
  • Im westlichen Kulturkreis bewegen sich die Menschen generell zu wenig, chronisches Sitzen stellt einen Teil des Problems dar.
  • Je länger man am Bürotisch sitzt, desto vorgebeugter die Haltung, Haltungsschäden entstehen teilweise durch die Chronifizierung dieser Prozesse.

Gegenwirken – Dynamik und Aktivität beim Sitzen

Dabei klingt das Gegenwirken recht einfach: Beim Dynamischen Sitzen beugt die variable Belastung der Muskulatur Ermüdungen und Beschwerden vor.

Dabei ist zu bedenken, dass die Aktivität im Verhalten verankert sein sollte und zudem ein Inventar einfordert, dass möglichst viel Bewegungsfreiheit ermöglicht.

Zu nennen sind beispielsweise Kniehocker oder auch ergonomische Stehpulte. Zweitgenannte ermöglichen es dem Menschen, ausgewählte Zeit in aufrecht-stehender Haltung zu arbeiten.

Auch der bekannte Gymnastikball oder der stabile Hocker mit viel Bewegungsspielraum fungiert für einige Menschen als nützliche Hilfe.

Dennoch markiert das Umlernen einen Prozess, der zunächst ungewohnt ist und in der Startzeit anstrengend ausfallen kann. Denn fast jeder Büroarbeiter ist an das Stillsitzen „zwangsgewöhnt“.

Sitzen neu lernen

Was lässt sich im Arbeitsalltag tun?

  1. Haltungswechsel regelmäßig durchführen, mindestens 3–4 Mal die Stunde, gerne mehr.
  2. Regelmäßig aufstehen, sogenannte Bewegungskurzpausen durchführen.
  3. Auf Pausen achten, dabei immer wieder kurz ein paar Schritte zurücklegen.
  4. Auf geeignete Stühle mit Bewegungsspielraum achten, damit man das Becken bewegen kann.
  5. Alternierend im Sitzen und im Stehen arbeiten (ein Wechsel pro Stunde).
  6. Zur Not einen Wecker nutzen, der ein Signal gibt, dass es Zeit ist, kurz aufzustehen.
  7. Bewegungsübungen im Büro durchführen.

Einige Autoren empfehlen zudem sogenannte gehirngerechte Bewegungen wie Kreuzungsbewegungen zwischen Arm- und Beinseite (konkret: linker Arm zum rechten Knie) oder Gegenbewegungen in Form von Achterkreisen mit Armen oder Beinen.

Dabei gehen sie davon aus, dass durch das Zusammenspiel beider Hirnhälften die Merk- und Problemlösefähigkeit positiv angetriggert wird.

Wie lässt sich anfangen, gibt es grobe Richtwerte?

✓ 60% dynamisches Sitzen
✓ 30% Stehen
✓ 10% gezieltes Umhergehen

Diese Werte werden oft genannt, sie dienen als Orientierung, man muss sich aber nicht sklavisch an sie halten (!). Entscheidend ist, dass das neue dynamische Verhalten ein besseres Gefühl hervorruft. Ob dies gelingt, kann nur mit guter Selbstaufmerksamkeit bemerkt und bewertet werden.

Ergonomische Bürostühle erlauben ein korrektes, rückengestützes und aufrechtes Sitzen, doch auch diese Position sollte man in sitzdynamischer Sichtweise immer wieder aufbrechen, weil die Haltungsmonotonie – auch mit aufrechtem Rücken – langfristig problematisch wird.

Das Konzept des dynamischen Sitzens ist somit einerseits Teil ergonomischer Überlegungen. Es steht aber im Widerspruch zu der einen, ergonomisch idealen Sitzhaltung, sondern fordert Bewegungsvielfalt ein.

Vorteile des dynamischen Sitzens

Folgende positive Auswirkungen sind bekannt:

  • Dynamisches Sitzen regt die Wahrnehmung der kinästhetischen Sinnesempfindungen an.
  • Es macht das Arbeitssetting abwechslungsreicher (Steh-Sitz-Arbeit).
  • Aktives Sitzen beinhaltet ein natürliches Training der Rumpfmuskulatur.
  • Der Kreislauf wird angeregt, die Sauerstoffzufuhr verbessert, von der optimierten Durchblutung profitieren auch die inneren Organe.
  • Schonung der Bandscheiben.
  • Verhindert einseitige Belastung der Wirbelsäule.
  • Bessere Konzentrationsfähigkeit und geistige Frische.
  • Weniger aufgestaute Aggressionen durch das Gefühl des „Gefangenseins in einer Arbeitshaltung“.
  • Allgemein mehr Arbeitsfreude.
  • Erweiterung des Blickfeldes durch abwechslungsreiche Perspektiven.

Ergonomisches Sitzen – mehr als ein Synonym?

Das Schlagwort des ergonomischen Sitzens fällt nahezu deckungsgleich mit dem in diesem Artikel dargelegten Konzept aus. Es wird in einigen Fachdiskussionen oftmals synonym verwendet.

Nimmt man es allerdings ganz genau, dann existieren kleine und doch bedeutsame Unterschiede: Während die Konzepte des Dynamischen Sitzens vor allem das Verhalten des Nutzers thematisieren und Aktivität einfordern, geht es beim ergonomischen Sitzen zudem um Abstände, angepasste Höhe und bestmögliche Winkel zu Arbeitstisch und Bildschirm.

Richtiges Sitzen ist in diesem Sinne eine doppelte Einstellungssache: Neben der oben beschriebenen Einstellung zum flexiblen Verhalten auf dem Stuhl gilt es, das professionelles Inventar richtig aufeinander sowie auf den Nutzer selbst abzustimmen.

Ergonomie Bildschirm

So sollte ein Nutzer immer ausreichend Abstand zum Monitor einhalten: Mindestens 50 Zentimeter Sichtabstand zum Display markieren den kleinsten Wert. Bei größeren Bildschirmen kann die Entfernung bis zu 80 Zentimeter betragen.

Zudem sollte das „Gespann“ Bürositz und ergonomischer Schreibtisch sinnvoll zusammenspielen.

Als einfache Faustregel gilt: Bei der Höheneinstellung des Sitzes sollte man darauf achten, dass Ober- und Unterschenkel sowie Ober- und Unterarme mindestens im rechten Winkel zueinander stehen. Natürlich gilt es, diese Position immer wieder aufzulockern und dynamisch zu variieren. Sie ergibt als vernünftiger Ausgangspunkt durchaus Sinn.

Tastatur und Maus sollten zudem auf einer Ebene mit den Ellenbogen und Handflächen liegen, damit keine unnötigen Druckbelastungen auftreten. Ergonomisches Sitzen als sinnvolles Minikonzept greift mit diesen Empfehlungen also das Arbeitsmaterial und die Arbeitsumgebung auf. Der Blick fällt nicht ausschließlich auf das optimierte Sitzen, sondern auf den kompletten Bildschirmarbeitsplatz.

Mit dessen bestmöglicher Gestaltung kann eine ergonomische Sitzposition eingenommen werden, die den Körper insgesamt weniger belastet. Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit steigen an, gleichzeitig werden Rückenverspannungen vermieden.

Aktives und Dynamisches Sitzen erlernen

Fazit: Wie so häufig markiert der allgemein spürbare und damit verstärkt thematisierte Leidensdruck den Ausgangspunkt für etwas Neues. Dynamisches Sitzen mag – richtig gelebt – noch ungewohnt wirken und anfangs traditionellen Verhaltensbildern entgegenstehen, doch die belebende Wirkung ist nicht nur als Wohlfühlaspekt zu verstehen. Der Schutz der Gesundheit, der Respekt vor dem natürlichen Bewegungsdrang, die Vorteile beim konzentrierten Arbeiten und der präventive gesundheitliche Charakter sind starke Argumente für ein Umdenken und Umlernen.