Ergonomischen Themen und Diskussionen gehören ganz selbstverständlich zur Gegenwart. Doch wann hielt die Ergonomie eigentlich Einzug, wer hat sie initiiert und sozusagen „erfunden“?

Zusammen mit dem Blick auf wichtige Etappen der Geschichte der Ergonomie werden Protagonisten genannt und ihre Ideen skizziert.

Historische Etappen der Ergonomie

Seit der ersten Nennung Mitte des 19. Jahrhundert hat sich die Bedeutung der Ergonomie verändert. Ein Prozess, der weiter andauert und immer im Kontext der jeweiligen Gesellschaftsorganisation steht.

Insofern reflektieren die folgenden Geschichtsetappen der Ergonomie einerseits die Dynamik der wissenschaftlichen Forschung, zudem spiegeln sie die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingen wider.

Erste klare Benennung von Wojciech Jastrzebowski 1857

Die älteste bekannte Definition des Wortes Ergonomie stammt von Wojciech Jastrzebowski. 1857 nutzte er diesen Begriff im Rahmen seiner philosophischen Abhandlung The Outline of Ergonomics, i.e. Science of Work, Based upon the truths drawn from the Science of Nature.

Im selben Jahr zitierte die Zeitschrift Natur und Industrie seine Festlegung wie folgt:

Ergonomie ist ein wissenschaftlicher Ansatz,
damit wir aus diesem Leben die besten Früchte bei der geringsten Anstrengung
mit der höchsten Befriedigung für das eigene und für das allgemeine Wohl ziehen.

Somit gilt W. Jastrzebowski in geschichtlicher Sichtweise als Initiator und Protagonist des Konzeptes der Ergonomie. Der Begriff selbst setzt sich aus den griechischen Begriffen ergon (Arbeit) und nomos (Regel, Gesetz) zusammen. In der englischen Übersetzung spricht man von ergonomics.

Doch erst im Jahre 1960 bekam der eigentliche Erfinder der Ergonomie seine Anerkennung, denn zu dieser Zeit wurden die im 19. Jahrhundert verfassten Abhandlungen entdeckt – über hundert Jahre nach der ersten Publikation. Bis dahin war er so gut wie unbekannt und spielte im bereits aktiven Diskurs keine Rolle.

Wojciech Jastrzębowski

Wojciech Jastrzebowski (1799-1882) stammte aus einfachen Verhältnissen. Er erwarb sich durch Fleiß und Ausdauer wertvolles Wissen und später den Titel des Professors

Detaillierte Angaben zur Biographie des „Urvaters der Ergonomie“ liefert dieser Artikel.

K.F.H. Murrell und die Ergonomics Research Society

Zum Zeitpunkt der Wiederentdeckung der Ideen von W. Jastrzebowski war der unabhängige Vorschlag für die selbe Wortschöpfung des Engländers K.F.H. Murrell etabliert, er galt als „Erfinder“ der Wortes.

Murrel nannte den Begriff Ergonomie erstmals im Jahre 1949 während der Entstehung einer in England zu dieser Zeit gegründeten Forschergruppe. Selbige gab sich ab etwa 1950 den Namen Ergonomics Research Society.

In ihrer Satzung verdeutlichte die Gesellschaft ihr Erkenntnisinteresse:

“ (…) erforscht die Beziehungen zwischen dem Menschen und seiner Arbeit, Arbeitsmittel und Umgebung, insbesondere durch Anwendung von anatomischem, physiologischem und psychologischem Wissen auf die daraus entstehenden Probleme“

Schon früh in der Geschichte wurde somit der komplexe und multidimensionale Charakter der Ergonomie deutlich benannt. Zugleich zeigte das Selbstverständnis der beteiligten Wissenschaftler, dass ihre ausformulierte Ergonomie klassische und naturwissenschaftlich arbeitende Humanwissenschaften integriert.

Die Bezeichnung „Ergonomics“ ließ sich zudem gut in viele Sprachen übertragen und durch diesen praktischen Vorteil setzte er sich durch.

Zudem wohnte der Festlegung eine fairer und kompromissfähiger Charakter inne, sie einte Ansätze der damaligen sogenannten Mutterwissenschaften Physiologie, Psychologie und funktionelle Anatomie, ohne eine Richtung zu bevorzugen.

Die Ingenieurwissenschaften und die Arbeitsmedizin wurden zu jener Zeit allerdings noch nicht explizit thematisiert.

Ergonomie Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts

Erste praktische Konzepte kamen bereits Anfang des 20. Jahrhundert zum Einsatz. Dabei ging vor allem darum, die Arbeitnehmer produktiver arbeiten zu lassen. Effektivität und Effizienz standen im Vordergrund, weniger individuelle Gesundheitskonzepte.

Genutzt wurde das sogenannte Scientific Management. Dahinter verbarg sich eine eine Methode, die Arbeitnehmer durch Verbesserung der Arbeitsprozesse zu mehr Leistung zu bringen.

Die Bedeutung der Weltkriege

Wie man begrenzte menschliche Ressourcen ideal nutzt, diese Fragestellung rückte dann während des Ersten und Zweiten Weltkriegs noch mehr in den Vordergrund. Ergonomische Optimierungen und Konzepte resultierten zu jener Zeit aus militärischen Erfordernissen sowie der permanenten Knappheit von Arbeitern in Kriegszeiten.

Dabei gilt vor allem der Zweite Weltkrieg nach Wickends & Hollands (2000) als Entstehungszeit der Ergonomie. Im Zuge der überragenden Bedeutung der Lufthoheit besaß die Optimierung von Flugzeugen absolute Priorität.

Flugzeugabstürze wurden von experimentellen Psychologen analysiert. Sie kamen zu dem Schluss, dass unlogisches bis schlechtes Design oder ein Mangel an menschlichen Kapazitäten ursächlich sei. Daraus entstand eine Studie der menschlichen Fähigkeiten und der Ergonomie, welche den Themenkomplex der verbesserten Mensch-Maschine-Interaktion ausformulierte.

Etablierung der Ergonomie durch Fachzeitschriften und Gesellschaften

Ende der 50er Jahre trug auch die Fachzeitschrift Ergonomics dazu bei, den Begriff bekannter zu machen. Er wurde verstärkt alltagstauglich. Regelmäßige Publikationen fachten Diskussionen und den wissenschaftlichen Austausch an.

1959 gründete sich die Internationale Ergonomische Gesellschaft (IEA). Ein wichtiger Schritt, denn mehr als 20 nationale Gesellschaften arbeiteten nun zusammen. An dieser multinationalen Kooperation war auch Deutschland mit der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft – GfA beteiligt.

Von der Geschichte zur Gegenwart

In den darauf folgenden Jahrzehnten wurde die Ergonomie am Arbeitsplatz auf weitere Gebiete ausgeweitet. Dabei spielte immer der gesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Kontext eine Rolle.

Arbeitnehmerrechte, Emanzipation, humane Arbeitskonzepte, neue Technologien, Individualisierung und Vorsorgekonzepte nahmen im öffentlichen Diskurs einen großen Raum ein. Die Ergebnisse der jeweiligen Diskussion schlugen sich darauf folgend in der Arbeitswelt nieder.

Beispiele der Ausweitung der Ergonomieforschung:

  • Ab 1960: Computer
  • Ab 1970: Computersoftware
  • 90er Jahre: Automatisierung
  • Ab den 90er Jahren: Internet
  • Ab 2000: adaptive Technologie
  • Ebenfalls etwa ab dem Millennium: Freizeit und Hausarbeit

Derzeit markieren die Schwerpunkt Gesundheit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit die Eckpfeiler des modernen Ergonomie-Begriffs. Im Informationszeitalter spielt zudem die computergestützte Kommunikation und die Mensch-Maschine Interaktion eine gravierende Rolle.

Somit beinhaltet der moderne Ergonomiegedanke eine Besserung der Qualität des Arbeitslebens und gleichermaßen das Bestreben, die Qualität der Arbeitsergebnisse zu optimieren.

Und genau diese Perspektive schützt vor Ausbeutung, denn eine maximale Beanspruchung des Arbeitenden lässt aus ergonomischer nicht das maximale Arbeitsergebnis erwarten. Eine Erkenntnis, die auch heutzutage in einigen Betrieben nicht umgesetzt wird.

Wer Angestellte und Arbeiter allerdings nur als bloßes Mittel zum Zweck (Profit) sieht, der lässt nicht nur die humane Perspektive vermissen – ein solcher Betrieb negiert in mittel- und langfristiger Sichtweise konsequent, dass hohe körperliche Belastungen zu Krankheiten und Arbeitsausfällen führen.

Dadurch sinkt die Produktivität und die Arbeitsmoral lässt stark nach – ein Versagen auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene.

Ergonomie in der modernen Praxis

Im aktuellen Jahrtausend geht die Forschung und die Diskussion über ergonomische Optimierungen in die nächste Runde. Detailgenau wird geprüft, wie sich Arbeitsplatz, Arbeitsmittel, die Arbeitsumgebung, die Arbeitszeit sowie die Arbeitsstruktur im Sinne der Menschen und der Firma verbessert in Einklang bringen lassen.

In Europa und den USA werden die Disziplinen Psychologie, Technik und Physiologie im Fachbereich Ergonomie gleichermaßen beachtet und integriert. Folgende Fragen dominieren:

  1. Wie kann das angestrebte Arbeitsergebnis mit einer geringen Beanspruchung und mit vernachlässigbarer Gefährdung des Mitarbeiters erreicht werden?
  2. Wie kann größtmögliche Produktivität mit einer vertretbaren Beanspruchung bzw. Belastung des Mitarbeiters erreicht werden?

Der Alltag als neues Themenfeld

Menschen am Computer

Mit dem veränderten Freizeitverhalten verschob sich das ergonomische Erkenntnisinteresse auch in den Alltag.

Zudem hat die Ergonomie Einzug in den Alltag gehalten, die Bevölkerung ist durch die Medien für dieses Themenfeld sensibilisiert worden. Die verstärkte Gefährdung des Menschen abseits des Arbeitsplatzes liegt in seinem veränderten Verhalten in der Freizeit begründet.

Kinder und Erwachsene sitzen in der Freizeit stundenlang vor dem Computer; das gesamte Leben ist zunehmend durch längere Sitzphasen an technischen Geräten geprägt. Nicht die Technik an sich markiert dabei das Problem, sondern es geht darum, den richtigen Umgang zu erlernen.

Zudem werden auch alltägliche Tätigkeiten wie Bügeln und ähnliche Hausarbeiten dahingehend unter die Lupe genommen, wie sie schonender und effizienter ausgeführt werden können. Dabei spielt der Vorsorgegedanke eine entscheidende Rolle. Ging man früher eher von Symptomen und Krankheiten aus, so thematisiert der aktuelle Blickwinkel verstärkt, wie sich vorhandene Gesundheit erhalten lässt.

Ergänzung: Sonderfall Japan – Ergologie aus Asien

Abschließender Hinweis: Japan gilt als Sonderfall, dort existiert neben dem Ergonomie-Konzept noch eine Richtung namens Human Ergology.

Hier betont man – im Gegensatz zur Ergonomie – die physiologischen und anthropologischen Komponenten der menschlichen Arbeit. Dabei wohnt der wissenschatlich-technischen Betrachtungsweise einer Anwendung im Sinne der Arbeitsgestaltung eine reduzierte Bedeutung inne.

Die Wortschöpfung selbst stammt aus Deutschland und fußt auf Ausführungen des Physiologen Haeckel (1834-1919). Er trug zu Lebzeiten eine anthropologisch begründeten Physiologie des arbeitenden Menschen zusammen und genau diese Ausführungen wurden in Japan übernommen.